Nein, es war kein normales Auswärtsspiel. Es war auch kein normaler Spieltag. Es war überhaupt keine normale Woche vor einem Spiel von Hannover 96! Eben keine Woche, in der man entspannt überlegt, ob man am Samstag Kölsch oder Herri trinkt, ob man hinterher noch Einladungen auf Geburtstagsfeiern annimmt oder ob man erwägt unter Umständen kurzfristig abzusagen, weil es mit der Liebsten (dem Liebsten) gerade sooo schön ist.
Nein, nach dem sensationellen und vor allem hoch verdienten Sieg gegen die Ostholländer aus Mönchengladbach ging es in Bochum schlicht UM ALLES! Bereits Stunden nach dem Gladbach-Sieg rührte sich bei dem Gedanken an das Bochum-Spiel der aufgeregte Magen: Werden es die Roten schaffen? Werden sie die Klasse aus „eigener Kraft“ erhalten? Oder werden sie einmal mehr mit Blei in den Füssen über den Platz traben und stetig drei Meter Abstand zum Gegenspieler halten? Wir hatten in dieser Saison alles erlebt: begeisterndes Kurzpassspiel, das nicht nur uns von 96 KÖLSCH, sondern ALLE Zuschauer begeisterte und haarsträubendes Gekicke, das einen nur an den Kopf fassen ließ. Teilweise war selbst mir ein „NAAAIIINNN“ nicht möglich herauszuschreien, so enttäuschend war der Anblick des Spiels der Halbgötter in Rot aus der schönsten Stadt der Welt.
Es ging am allerletzten Spieltag gegen den ebenfalls abstiegsbedrohten VfL Bochum. Ohne hier sämtliche Variationen der möglichen Spielergebnisse und der möglichen Abschlusstabellensituationen darlegen zu wollen: Mit einem Sieg in Bochum, also „aus eigener Kraft“ konnte die Klasse erhalten werden. Motiviert und gleichzeitig mit Zweifeln beladen traf sich die Gruppe von 96 KÖLSCH am Hauptbahnhof in Köln. Wahnsinn! So viele waren wir seit langem nicht. Jeder merkte: Es geht um alles! Wir müssen die Mannschaft unterstützen! Aber ob das reichen wird? Das Vertrauen in „die eigene Kraft“ hatte unter der Saison doch ordentlich Schaden genommen….
Nervosität lässt sich durchaus mit ein wenig Alkohol eindämmen, aber nicht eliminieren. Aufgeregt, angeregt, hungrig (aber nichtessenkönnend) trafen wir in Bochum ein. Wir sammelten uns um den Präsidenten und um die Aktivisten aus der Abteilung „Radfahren für den Klassenerhalt“. Nach Waserlassen am HBF-Gebäude und dem Betrachten von entzündeten Rauchbomben empfand die Bochumer Polizei, dass es Zeit sei, dass sich die Fans von Hannover 96 auf den Weg zum Stadion machen. Nicht unhöflich, aber durchaus deutlich wurden wir mit den übrigen vor dem Hauptbahnhof Bochum ausharrenden 96-Fans auf den Weg zum ehemaligen Ruhr-Stadion gebracht. Auch eine 96 KÖLSCH-Premiere: Bisher haben wir immer darauf geachtet, eben NICHT zeitgleich mit dem Fanzug aus der niedersächsischen Landeshauptstadt in der Fremde anzukommen. Diesmal war es uns durchaus recht, da von den VfL-Fans nicht nur Positives zu erwarten war. So konnten uns keine Bochumer Anhänger von Leibesübungen zu nah auf die Pelle rücken… aber: Der ein oder andere wäre durchaus gerne mal Getränke kaufen oder Getränke loswerden gegangen, das ging nun nicht, da die Polizisten dafür Sorge trugen, dass alles in REIH UND GLIED zum Stadion ging.
Aber was war das? Wollen die uns nicht `reinlassen? Der Einlass der Gäste-Fans in Bochum war, es muss deutlich formuliert werden, zweitklassig! Gefühlte 15.000 Menschen durch gefühlte zwei Stadion-Türen (Es war eher ein Spalt!) zu schleusen, ist ein Unterfangen, das von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Wegen der Aufsicht der Polizei und wegen der Anspannung ob des gleich beginnenden Bundesligaspiels blieben die Hannoverschen Fans aber ruhig.
„Und da ist das eins zu null für Hannover!! Durch Bruggink!! Und das Ganze in der neunten Minute, hier in Bochum.“ So hören es die Radiohörer.
Und wir im Stadion jubeln und liegen uns in den Armen. Hannover 96 spielt engagiert, unterstützt von der „roten Wand“ von 15.000 96-Fans (die Mannschaft hatte rote T-Shirts für die Fans mit dem Aufdruck „Gemeinsam für die 1. Liga“ mitfinanziert.)
„TOOOR!! TOR! Es steht zwei zu null für Hannover! Mike Hanke! Wieder gehen die Bochumer da nicht rein in den Mann, in den Ball hinein, verteidigen das nicht gut…“ So stammelt der VfL-Fan am WDR2-Mikrophon in der 23. Spielminute seine Sätze über den Äther.. Und mir fällt ein weiterer Kieselstein vom Herzen. Aber: Hatten wir nicht auch im Hinspiel zwei zu null geführt?? Egal. NIEMEHRZWEITELIGANIEMEHRNIEMEHR!!! Die gesamte 96-Fankurve singt und 96 Kölsch mittendrin. Glückliche, jubelnde, singende Menschen, die alle die richtigen Verein unterstützen! Was kann es schöneres geben als dabei zu sein…
„TOOOOOOOOOOOOR IM BOCUM! DAS IST DIE ENTSCHEIDUNG! PINTO MACHT DAS DREI ZU NULL VOR DER PAUSE ! MUSTERGÜLTIGER KONTER VON HANNOVER 96!!“ jetzt klingt auch der VfL-Fan am WDR2-Mikrophon begeistert. Und wir? Wir SIND begeistert! DREI zu NULL vor der Pause! Wer hätte das gedacht?? ICH auf jeden Fall nicht ! Meine nerven-aufreibenden Albträume in der Woche zuvor drehten sich um die 88. bis 94. Spielminute, vor denen es immer noch null zu null steht und ich vor Herzrasen und Aufregung nicht weiß, wohin mit mir…
Pffff, Halbzeit, Anspannung weicht, 3:0 für uns, müsste eigentlich reichen, pffffff, noch mal tiiieeeef ausatmen. Ich merke, wie anstrengend die letzte Woche war, mit all den Sorgen um die 96er..ich kann nicht mehr… Mir kommen Tränen der Erleichterung (Ich danke dir, Gereon!)
Nur kein Gegentor! Mit diesem Gedanken starte ich in die zweite Halbzeit. Und es bleibt mein Gedanke bis…na… fünf Minuten vor Schluss. Langsam bekomme ich Gewissheit: Wir sind auch im nächsten Jahr ERSTKLASSIG…. Feiernd und singend fiebern wir dem Abpfiff entgegen. Und: es wird abgepfiffen ! Wir bleiben drin ! !
Umarmungen auf der Tribüne, Randale bei den Bochumer Fans und eine 96-Mannschaft, die nicht so recht weiß, was im einzelnen vorgeht und was jetzt anliegt: Jubel ? Erleichterung ? Feiern mit den Fans?
Plötzlich hat die Mannschaft ein Banner in der Hand. „R. I. P. Robert“ seht darauf. Bei mir brechen die Dämme. Wie beim Daumenkino schießen mir tausend Erinnerungen auf einmal durch den Kopf: Axels Anruf, Enke sei tot; SMS schreiben; Rückruf Klaas; ganz beschissener 11. im 11.; Spiel in Gladbach; gemeinsame Fahrt zur Trauerfeier nach Hannover; Heulen im Auto; Treffen mit den 54er-Meistern; danach Spiel gegen Wolfsburg; Einheit von Fans und Mannschaft gespürt; trotzdem verloren; ogottdaswirdnixmehr; Sieg gegen Schalke; mein Torjubel im Hannoveraner Taxi als ihr in Freiburg seid; herrliches Jubeln vor Bennies Fernseher; herrliches Jubeln vor Daniels Fernseher, Herkels Neuzugang.. alles durcheinander und alles auf einmal….
Das ist alles zu viel. Wieder muss Gereon mit seiner Schulter herhalten. Tage später wird mir klar: Das was mich so angerührt hat, ist die große Erleichterung, dass es 96 geschafft hat, in der ersten Liga zu bleiben, und gleichzeitig die tief empfundene Dankbarkeit, im tollsten 96-Fanclub überhaupt zu sein ! ! Jungs (und Mädels): Ihr seid klasse ! !
Bis wir in Bochum das Stadion verlassen, vergeht eine ganze Zeit. Lautes Jubeln ist auf dem Weg zum Bahnhof von den Hannoveraner nicht zu hören. Auch bei uns 96-kölschen nicht. Wir geben uns Mühe, den kleinsten Kiosk Bochums leer zu kaufen, und machen uns dann auf den Heimweg.
„Mer stonn zo dir, sechsunnnoooinzich!!!“ Wenn die Kölner für den ersten Fußballclub ihrer Stadt ein lustig Lied intonieren, DANN KÖNNEN WIR DAS SCHON LANGE ! ! Nach der Bahnfahrt in Köln angekommen, rückten erst einmal im Gaffel die Tische zurecht.
Dort genossen wir das erfrischende Nass und die deftigen Speisen. Natürlich vergaßen wir dabei nicht, die anderen Gästen im Gaffel die frohe Kunde zu überbringen, dass 96 weiterhin zu den ersten Vereinen der Bundesrepublik gehört: Mit 96-Fans sind Anhänger eines Erstligisten im Lokal:. „Heut ist wieder Samstag, da mach’n wir wieder ramtamtam“. So mancher Kontakt wurde zu Gästen an Nachbartischen geknüpft, und des öfteren konnten wir die Tore der 96er auf dem Bildschirm lauthals bejubeln. Dieses Jubeln irritierte wohl die Veranstaltung im durch Sichtschutz-Einrichtungen abgetrennten Bereich des Brauhauses: Dort traf sich nämlich der erste Fußballklub Köln zur Saisonabschlussfeier. Vertreter der Presse waren natürlich auch zugegen, und hätten wir 96-Kölschen die Raupe quer durch die FC-Veranstaltung gemacht, wäre uns ein Eintrag im Express und/oder im KstA sicher gewesen…. Aber es bedurfte nicht eines solches Eintrags: HANNES war sekundenlang in der Berichterstattung vor dem Spiel bei Premiere zu sehen, mit dem schönsten Schal, den es auf der ganzen weiten Welt gibt: 9 6 K Ö L S C H !
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