Würde, Anstand, gute Kinderstube.
Sollte jemand nachfragen: Ja…äh nein, genannte Wesenszüge spiegeln sich nicht in dem Verhalten der 96-Kölsch-Anhänger wieder. Und ja, bei Auswärtsfahrten geben immer alle ihr Bestes auch den letzten Rest Würde und Anstand im Alkohol zu ertränken. Schon mal vorweg: Dank guter Kinderstube fehlte es beim Pauli-Trip niemandem an Herri, Astra oder Jägermeister. Darauf möchte ich mein Glas erheben.
Samstagmorgen, 6.30 Uhr. Eigentlich eine Uhrzeit, zu der man torkelnd Diskotheken verlässt, betrunken ins Bett fällt oder seinen Partner mit einem freundlichen, aber bestimmten „Guten Morgen“ weckt. Bei mir klingelte exakt um diese Uhrzeit der Wecker. 96 spielt am Millerntor, es geht nach Hamburg. Ich werde diesen Tag nüchtern erleben, denke ich mir und schüttele den Gedanken schnell wieder ab. Vielleicht färbt ja der Promillegehalt der anderen auf mich ab. Noch auf der Fahrt Richtung Sixt erfahre ich, dass uns statt einem Bulli jetzt zwei (Luxus)-Karossen nach Hamburg tragen werden. Der frühe Vogel fängt den Wurm und die Dame hinter dem Anmeldetresen hatte Wimpern wie Fliegenbeine. Wach – check. Wahrnehmung – check.
St. Pauli, Zecken, gegen Kommerz – genug Gründe, um im 5er BMW mit Leder-Innenausstattung, elektrischem Kofferraum (was ein Spaß) und Navigationssystem mit Google Earth anzureisen. Wie schön, wenn man einen ehemaligen Sixt-Angestellten an Bord hat, der einem erstmal direkt erklären muss, wie sich so ein Automatik-Gefährt eigentlich fortbewegt. Treffpunkt bei Manu um 8.30 Uhr, Herri verladen, Andreas verteilt Berliner ohne Füllung – und auf Manuelas Stirn bildeten sich die ersten Sorgenfalten. Was, wenn das Bier warm wird? Lässt sich eigentlich die Mittellehne runter klappen, um während der Fahrt schnell mal in den Kasten zu greifen? Ja. Weitere Fragen bitte an die Porz-Fraktion.
Mit Justin, Rebekka, Hannes, René und Manu an Bord der Leder-Karosse und Justin, Rebekka, Marvin, Klaas, Andreas und Gereon an Bord des anderen Gefährts fanden wir ohne Navigationssystem den nächsten REWE. Schwer mit Bier, Süßigkeiten und Non-alkoholischen Getränken beladen, sowie schwarz-weiß-grünen Schals behangen, fragte die Kassiererin, gegen wen denn der FC heute spielen und wohin wir den FC denn begleiten würden.
By the way: Das erste Bier ging dann auch direkt im Wagen flöten, weil ich den Rückwärtsgang gefunden und auch alleine bedient hatte.
Drei (zum Teil angehende) Lehrer an Bord, wusste ich, manche Wesenszüge werden erst im Laufe der Entwicklung und mit zunehmendem Alter entwickelt. Stichwort Bescheidenheit. Noch bevor die Auffahrt zur A57 erreicht war, brach René das Schweigen mit der Bitte nach dem ersten Herri. Er hätte nicht so forsch sein wollen, schon im Vorfeld zu fragen. Hannes und Manu nickten zustimmend. Nummer vier: Bescheidenheit.
Obk fuhr im Geiste und auf der eigens von Klaas produzierten und gebrannten CD mit, prophezeite den Roten im nüchternen (und/oder betrunkenen) Zustand die Teilnahme am internationalen Geschäft. Und irgendwas mit der Mutter, dem Vater und der Freundin. Gesungen wurde recht wenig (Danke Sixt!), aber Manu hatte einen ganz tollen Test aus der aktuellen Ausgabe der 11Freunde dabei. Die Antworten erschienen mir recht eintönig – Antwort D war stets der Vollrausch. Apropos Vollrausch. Auch ohne einen solchen schafften wir es, die Ausfahrt Kamener Kreuz NICHT zu nehmen, bemerkten dieses kleine Malheur allerdings erst in Münster. Dank Autobahnspezialist Hannes, dem Mann, der weiß, wann Autobahnen zweispurig verlaufen – und wann nicht. Marvin, der zu dem Zeitpunkt annahm, der Gereon-Wagen befände sich weit hinter unserer Sportkarre, wurde daraufhin von Hannes eines Besseren belehrt. Wie es sich für einen Lehrer gehört.
Osnabrück sollte man mal gesehen haben und dass Bad Oyenhausen quasi komplett durchquert werden muss, um von einer Autobahn auf die nächste zu gelangen, das wissen wohl auch nur Ortsansässige. Nächster Halt: Frikadellenstopp am Rasthof Auetal. Im Stil der Scorpions rockten wir die Szenerie wie ein Hurricane, allerdings zunächst ohne Senf. Manuela wird, sollte es mit der Lehrerkarriere nicht klappen, einen eigenen Bulettenladen eröffnen. Oder Papierkugeln herstellen. Solche, die DFB-Pokal-Halbfinalspiele beeinflussen oder René in den Wahnsinn treiben.
Da die Fürstin wiederrum
irgendwo doch ein sehr geduldiger Mensch ist, hatte sie Milchreis in
petto. Selbstgemacht, versteht sich. Gereon entpuppte sich als
Zimtverwalter, versorgte er den Milchreis im Sekundentakt mit Zimt.
Viele Grüße an dieser Stelle an den netten Herrn Norbert Düwel. Norbert,
deine Aussage, „es entscheidet immer der Milchreis über die Qualität
des Spiels“, die ist gelogen.
Weiter im Programm. In Hamburg verstimmte Renés Goldkehlchen.
Singblockade? Bierstreik? Erfolgsdruck? Wird wohl letzteres gewesen
sein, denn kurz vor dem Heiligengeistfeld sprintete die Fürstin wie von
der Tarantel gestochen aus dem Auto, über die nächste Kreuzung – und weg
war sie. Manu erklärte noch, wir bräuchten uns keine Sorgen zu machen,
René werde schon wieder auftauchen. Und siehe da, nachdem sie zunächst
ein Bier in der nächstbesten Bar leeren musste, um das stille Örtchen
aufsuchen zu können, stand die Fürstin putzmunter neben dem Wagen.
Wie Vögelchen in der Paarungszeit versuchten wir daraufhin, den Rest der 96-Kölsch-Meute aufzuspüren. Erstaunlich, was „Europapokal, Europapokal“-Rufe doch bewirken können.
Abgesehen von der schlechten Einlass-Kontrollen-Organisation der Paulianer, schlammgetränktem Boden und wüstem Gedrängel sei vor der Partie noch die legendäre Banane zu erwähnen. Zum Essen berufen, kann sie sowohl als Jackendekoration (nur für Menschen, die anschließend nicht die Orientierung verlieren), Kopfbedeckung, Schlagstock, Schnurrbart oder sonstiges genutzt werden. Danke Manu.
Kuschelig eingepfercht, bezogen zunächst Gereon und meine Wenigkeit den Gästeblock. Mit dem Ergebnis, dass ich meiner Testreihe „Die Spezies der weiblichen unterbelichteten Prolls in Fußball-Stadien“ einen neuen Eintrag beifügen durfte – und Gereon nichts von Halbzeit eins sah. Zu sehen gab es außer einem Pfostentreffer von Lars Stindl nicht wirklich viel. Ackerlandschaft statt Fußballfeld – was ein Bekenntnis. Ey du Arschloch, diskutier nicht! Halbzeit zwei begann wie die erste Hälfte endete: lahm. Bengalos wurden gezündet, Fahnenstangen geschmissen, Fans abgeführt, „brennbares“ Material entfernt – die zumeist aggressive Stimmung mündete in „Scheiß St. Pauli“- Rufen.
Alles tausendmal interessanter als die Partie auf dem Rasen. Manuela hatte ihre Banane ins Stadion geschmuggelt und gegessen. Manuel Schmiedebach foulte gefühlte zehn Mal, Schiri Gagelmann zückte erst gegen Ende der Partie den gelben Karton. Gerald Asamoah muss sich zwischenzeitlich daran erinnert haben, wie schön die Zeit in Hannover doch gewesen ist, ignorierte er zunächst Cherundolos Stollen in seinem Gesicht und lehnte dann noch eine Ecke ab. Aha. Soll den Roten egal gewesen sein. Einen Freistoß von Pinto parierte Pauli-Keeper Kessler, bei der anschließenden Ecke und dem gezielt gesetzten Kopfball von Christian Schulz ist er machtlos. Die Stimmung kippt, das Blut rauscht. Keiner hat es gesehen, das Tor des Tages, alle 96-Kölschen feiern, liegen sich in den Armen.
Solche Drecksspiele muss man auch gewinnen, wird Mirko Slomka anschließend sagen. Recht hat er. Niedersachsens Nummer eins rückt vor auf Tabellenplatz drei, die Begegnung gegen Bayern München am kommenden Wochenende – ein Endspiel um die internationalen Plätze. Zum ersten Mal am heutigen Tag bin ich berauscht. Wahnsinn.
Polizeiblockade passiert, Siegerbier an der Tankstelle, Lagebesprechung am Wagen – ab nach Köln. Hier der dringende Hinweis an alle, die zur Jahresfahrt in Hamburg einkehren: Es gibt keine Supermärkte. Punkt. So ergab es sich, dass die 5er-BMW-Truppe planlos durch HH irrte, Porz im Norden supportete und schließlich mit einstündiger Verspätung am vereinbarten Treffpunkt in Soltau Ost eintraf. An alles, woran ich mich ab da erinnere, ist Kaffee, Justin, Köln Porz, Rebekka…. hm, Gasastreifeninferno, Rekakka und den Wagen, der mir während der Fahrt per Lichthupe irgendetwas signalisieren wollte – und der sich dann als René entpuppte, der zu Queens „Don’t stop me now“ die Lampen im Auto an- und ausknipste. Du bist Deutschland, du hast Rhythmusgefühl, DSDS braucht dich.
Was ich gelernt habe? Angehende Lehrkräfte haben immer Durst. Nicht alle Tankstellen verfügen über Jägermeister, manche bieten netterweise Wodka an, der dann freundlich, aber bestimmt abgelehnt wird. Gott sei Dank verfügen alle Autobahnen über viele, viele Raststätten. Sonst könnten wir ja nicht an jeder anhalten, um Jägermeister zu kaufen.
Was ich noch gelernt habe? Lass dir von (leicht bis stark) betrunkenen Fußballfans keine Tipps geben, wo du eventuell tanken könntest. Denn spätestens in Mülheim findest du von alleine eine Tankstelle.
Würde, Anstand, gute Kinderstube – ja, das sind drei Wesenszüge, die sich im Verhalten der 96-Kölsch-Anhänger wiederspiegeln. Manuela beispielsweise verschenkt Würde. Anstand besitzen alle, denn sie wollten Bierkisten verschenken. Und eine gute Kinderstube… andernfalls wären wir wohl alle keine 96-Fans geworden.
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