Ein Wochenende im März in London: Gekommen, um die größte Achter-Regatta der Welt zu bestaunen, ließ das Wochenende noch einige Zeit für die Besichtigung der Stadt. Natürlich bietet sich gerade in London an, dem englischen Fußball einen Besuch abzustatten. Also kicker.de konsultiert – und siehe da: So einfach ist das gar nicht: An dem Wochenende spielten nur 3 Mannschaften aus London zuhause: Crystal Palace, und Fulham (die Grounds kannte ich schon aus der Saison 1997/98 bzw. 1998/99), Chelsea (das Spiel war für Sonntag angesetzt, als ich schon wieder im Flugzeug sitzen sollte) – und Millwall … Bekannt aus diversen Hooligan-Filmen, inzwischen in den Niederungen der zweiten englischen Liga gelandet, aber interessanterweise noch nicht von mir besucht. Da ich nicht für möglich hielt, dass Pokal und Liga an einem Wochenende angesetzt sein sollten, blieb mir leider Tottenham verschlossen, dessen Pokalspiel gegen die Bolton Wanderers auf tragische Weise abgebrochen wurde.
Wie dem auch sei: Die Regatta findet im Süden von London, an der Putney Bridge statt, Millwall ist von dort per Zug zu erreichen – allerdings mit 2 Umstiegen auf zumindest einem relativ großen Bahnhof. „Egal, einfach den Trikots folgen“, dachte ich mir – und befand mich auf dem Weg zum Selhurst Park, dem Stadion von Crystal Palace. Relativ bald habe ich meinen Fehler bemerkt und bin wieder ausgestiegen und musste umsteigen an der Battersea Park Station, einem ziemlich dubiosen Bahnhof mit engen Holzpfaden. Der „Bahnhofsvorsteher“ (ein Typ in gelber Warnweste mit herrlichem Cockney-Akzent) wusste jedoch genau die Zugfolge, die mich direkt zum Stadion nach Millwall bringen sollte.
Der Zug fuhr mit dem Anpfiff in die Station ein, ein kurzer Fußmarsch durch ein Polizeispalier und vorbei an einem Anti-HSV-Aufkleber und nur wenige Minuten nach Anpfiff war ich dann doch noch im Stadion gelandet. Der Platzanweiser zeigte mir den Weg zu einem offensichtlich falschen Platz auf der Tribüne: Es schien mir ein sehr, sehr unentspannter Familienfanclub zu sein, bei dem heute zufällig eine Person fehlte, deren Platz ich nun einzunehmen gedachte. Einen 96-Kölsch-Schal hatten die vermutlich auch noch nicht gesehen, und überhaupt ist die Farbe grün in den wenigsten britischen Schals vorhanden. Macht aber nichts, ich habe schon andere Dinge überlebt und setze mich fast auf Höhe der Mittellinie gemütlich hin.
Der Gegner aus FC Southampton (Neuling der Liga und nach 37 von 46 (!) Spieltagen auf Platz 1 der Tabelle) hatte eine ganze Menge Fans mitgebracht: Die gesamte Hintertortribüne war mit laut singenden Gästefans gefüllt. Die Jungs waren sogar die ganze Zeit so laut, dass meine Gastfamilie der Reihe nach die Substantive cunt, wanker, tosser, prick und slut mit den Adjektiven fucking, freaking und bloody in allen Varianten ständig aneinanderreihte. Insbesondere das Wort slut irritiert: Dies war jedoch der Schiedsrichterassistentin geschuldet, die ihre Pfade vor unserer Tribüne auf und ab lief. Hierbei ist mir wieder positiv die Nähe der Zuschauer zum Spielfeld aufgefallen: Man sitzt in England auch in den neuen Stadien (Millwall musste leider 1993 in ein neues Stadion umziehen) einfach direkt neben dem Spielfeld: Herrlich.
Der Favorit Southampton ging mit 1:0 in Führung, Millwall glich jedoch kurz darauf durch ein Eigentor aus und ging 5 Minuten später sogar in Führung: Das Stadion flippte aus – was nicht bedeutete, dass sich die Wortwahl meiner Gastfamilie änderte.Interessant zu beobachten war, dass man sich auf der Tribüne bei einem Tor nicht mit einander freute oder gar mit den Spielern – sondern mit einer ausgelassenen Häme nahezu ausschließlich in Richtung der gegnerischen Tribüne. Diese übertriebene Häme war mir neu. Und obwohl die Stimmung in britischen Stadien auch in den unteren Ligen grandios laut ist, fand ist diese Häme befremdlich. Vielleicht lag dies am Millwall-Lied, welches Rod Stuarts „Sailing“ umdichtet zu „No one likes us (3x), we don’t care. We are Millwall, super Millwall, we are Millwall from The Den”. Wenn die Fans aus Southampton mal wieder zu laut sangen, dann stimmte das ganze Stadion ein ohrenbetäubendes “Eeeeeeeeeee” an, nur um den Gegner (erfolgreich) zu übertönen – obwohl der das vermutlich gar nicht gehört hat.
Das Spiel plätscherte vor sich hin, zur Halbzeit-pause stand es 2:1. Unter-klassiger britischer Fußball ist taktisch herrlich: Seit 10 Millionen Jahren wird hier 4-4-2 gespielt, man stellt sich beim gegnerischen Abstoß in genau dieser Formation auf dem Platz auf, die beiden Stürmer traben sogar direkt zu den beiden zentralen Mittelfeldspielern hin, die sie in der Raumdeckung in Empfang nehmen sollen. Beim Abschlag des Torwarts stehen 20 Spieler im Mittelkreis, und harmlose Fouls werden nicht gepfiffen: Das ist echt schön, die gefühlte Nettospielzeit ist weitaus höher als in der Bundesliga. Im gesamten Spiel gab es eine gelbe Karte, aber 3 Minuten Nachspielzeit in der 1. Halbzeit – und sogar 5 Minuten in der 2. Halbzeit.
In der 83. Minute gab es einen Foulelfmeter für Southampton, um mich herum explodierten die Gemüter. Auch die Fans aus Southampton jubelten fast ausschließlich Richtung Millwall-Tribünen. Als in der 86. Minute ein ziemlich fragwürdiger Elfmeter gegeben wurde (ich habe die Gesten des Schiedsrichters auf Handelfmeter gedeutet), erzielte Rickie Lambert seinen dritten Treffer des Tages, das Spiel war gelaufen. Die Linienrichterin, die das Handspiel anzeigte, wurde danach fast gelyncht: Die Tore zum Spielfeld wurden tatsächlich von einigen Bekloppten geöffnet, aber ein einziger Ordner (!) hielt sie im Zaum.
Nach Abpfiff war der Weg zurück versperrt, es folgte ein Marsch wie in Brügge, dann war aber ein Bus zu sehen, der mich zu London Victoria zurückbringen sollte.
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